Dorf in der Pampa im Großherzogtum, 31. Oktober 2001
Unsere Lippen näherten sich langsam, mein Herz pochte und ich versuchte mich zusammenzureißen. Dies sollte einer der ganz großen Momente in meinem Leben werden. Einer dieser Momente von denen ich später noch voller Stolz meinen Enkelkindern erzählen wollen würde. Ob man jedoch wirklich in dem Fall von Stolz reden konnte, das mochte erstmal dahingestellt sein. Während ich also darauf konzentriert war, meine Lippen zu spitzen und in eine möglichst gute Kussstellung zu bringen, spürte ich wie der blöde BH, den ich unter meinem Nonnenkostüm trug, anfing zu rutschen und zu zwicken. Blödes Teil!
Nichtsdestotrotz es sollte ja ein großer Moment für mich werden, also versuchte ich mich nicht beirren zu lassen. Ich vernahm ein inneres Pieps-Geräusch. Es klang in etwa so wie dieses Piepsen, welche Lastwagen von sich geben, wenn sie rückwärts einparken. Ich muss zugeben, das klingt nicht besonders romantisch, aber wirklich genießen konnte ich den Moment eigentlich nicht. Ich wollte diesen Moment einfach nur heil über die Bühne bringen. Meine Lippen halbwegs ordentlich auf ihren Lippen parken und tun, was man da so tun muss. Aber halt! Was muss man da eigentlich tun?
In meinem Kopf schwirrten 1000 Gedanken und es schrillte die höchste Alarmstufe. Es war ein Gewusel wie es wohl auch auf einer Gefechtsstation irgendwo auf einem Atom-U-Boot im Nordatlantik gegeben hätte, wenn sich der kalte Krieg zu einem heißen Krieg verwandelt hätte. Dies wurde Gott (oder wem auch immer) sei Dank keine Realität, aber das genau hier gerade, ja das war bittere Realität. Es war so real wie es nur real sein konnte und es war mir verdammt warm unter der lockigen Perücke, die ich trug. Ja, und gekratzt hat die auch wie die Hölle. Ich schwitzte ordentlich vor Aufregung und das machte die ganze Sache nicht unbedingt besser oder gar einfacher.
Unsere Lippen waren kurz davor sich zu berühren und ich schloss meine Augen. Ich hatte etwas Alkohol getrunken und anfangs drehte es sich ein klitzeklein wenig in meinem Kopf, aber das ließ schnell nach. Die Aufregung tat ihr übriges, dass ich mich recht schnell auch wieder verdammt nüchtern fühlte. Dann spürte ich etwas Weiches was auf meine Lippen niedersank. Erst ganz sanft, dann wurde der Druck stärker ohne, dass es sich unangenehm anfühlte. Komisch! Eher im Gegenteil, das war ein Gefühl, an das man sich wirklich gewöhnen konnte. Doch was nun tun?
Ich war endlich so weit gekommen, dass ich diese Erfahrung jetzt in diesem Moment schon halb als erledigt abhaken konnte. Macht man dann einen halben Haken dran, oder wie? Ich war schon in meinen Gedanken dabei einen halben Haken hinter den Punkt: „Erster Kuss“ zu setzen, dann aber erschrak ich fürchterlich. Was nun? Unsere Lippen hatten sich berührt, was sollte ich jetzt tun? Abwarten? Meine Lippen bewegen? Sie vielleicht öffnen? Wie macht man das mit der Zunge? Was ist, wenn ich meine Lippen öffne und sich meine gesamte Speichelflüssigkeit wie sabbernde Niagarafälle unkontrolliert ihren Weg über ihre Lippen in ihren Mund bahnen? Oh, wäre das peinlich... aber irgendwas musste ich doch machen!?
Also beschloss ich meine rechte Hand, über ihre Schulter hinunter, über ihre Brüste gleiten zu lassen. In meinem Kopf erschien schon wieder meine Gedanken-Checkliste und ein weiterer Punkt wollte abgehakt werden: Richtig, echte Brüste anfassen, oh yeah! Aber hey, mit halben Haken gewinnt man auch keinen Krieg! Einmal über die Brüste streifen, ohne dabei die nackte Haut zu spüren, nein das konnte noch nicht gelten. Sie machte auf jeden Fall keine Anstalten, dass es ihr nicht gefallen würde und so fuhr ich fort.
Meine rechte Hand bahnte sich den Weg unter ihren doch etwas festsitzenden BH. Mit meiner linken Hand versuchte ich mich abzustützen, damit ich nicht von der Mauer runterkippen würde, auf dessen Vorsprung wir beide saßen. Jetzt traute ich mich meinen Mund leicht zu öffnen. Ich spürte etwas Glitschiges zwischen meinen Lippen. Es war zum Glück kein Speichel, der wie man hätte vermuten können, versuchte die neu gewonnene Freiheit zu missbrauchen, um in neue unentdeckte Gegenden vorzustoßen. So wie es damals die ersten Entdecker Amerikas taten, die auch vor nichts Halt machten, um dann im Namen der Unterdrückung und unter der Geißel der Sklaventreiberei die große „Freiheit“ zu errichten. Aber nun gut, ich wollte jetzt hier nicht so weit gehen meinen Speichel mit den vereinigten Staaten von Amerika zu vergleichen.
Zurück zu ihrer Zunge, die sich wohl offenkundig versuchte, ihren Weg in meinen Mund zu bahnen. Das war wohl das Startzeichen, meine Zunge auch in Bewegung zu setzen. „Also: Kompanie Marsch, auf ins Gefecht! Gut Kick, Petri Heil, ...!“ Im Inneren meines Mundes bebte es, wie es wohl beim Start einer Atomrakete, im vorhin erwähnten U-Boot, gebebt hätte. Unsere beiden Zungen rasten in unglaublicher Supermegazeitlupengeschwindigkeit aufeinander los. Nach einer gefühlten Ewigkeit trafen unsere Zungenspitzen aufeinander. Eine Explosion von winzigen Tröpfchen durchflog unsere Münder, die Zungen prallten aufeinander und verhakten sich ineinander, verkeilten wie bei einem wirklich heftigen Autounfall mit anschließendem Schleudertrauma. Knutschtrauma olé!
Unsere Zungen begannen sich erst langsam, dann immer schneller werdend zu umdrehen und in mir regte sich eine gewisse Spannung. Ich legte einen Gang zu! Jetzt konnte ich den ersten Punkt endgültig abhaken und wollte den zweiten auch sogleich folgen lassen. Während sich unsere Zungen vereint und liebkosend umkämpften, hatte meine rechte Hand mühsam ihren Weg unter ihren BH gefunden. Okay, ich muss zugeben, der Punkt, dass sie während sie mich küsste, selbst den BH geöffnet hatte, erleichterte mein Vorhaben doch sehr. Meine Hand berührte ihre kleinen, aber sehr festen Brüste und ich streifte mit meinen Fingern über ihren Nippel. Yuhu!
Es war wohl wie bei der Erstbesteigung des Mount Everests ohne Sauerstoffmasken, ein erhebendes Gefühl, aber irgendwie konnte ich den Moment fast nicht genießen. In meinem Kopf hakte ein imaginärer Kugelschreiber den zweiten Punkt ab und spätestens in dem Moment, als ich eine Hand auf meiner Schulter spürte, die mich nach links wegzog, hatte ich das Gefühl, als würde eine Tresortür, die ich grad erst mühsam geknackt hatte, wieder geschlossen. Wolken zogen vor die noch grad frei gewesene Panoramasicht aufs Himalaya Gebirge.
War die ganze Anstrengung, gerade jetzt wo ich es wirklich genießen konnte, dann doch irgendwie umsonst gewesen?
Ich drehte mich um, öffnete meine Augen, brauchte einen Moment, um wieder in der Realität anzukommen. Neben uns beiden stand eine Gestalt, die aussah wie ein Gremlin und sagte: „So! Lang genug rumgesabbert! Jetzt darf ich auch mal ran!“ Es war mein damaliger bester Freund. Er war die ganze Zeit über, hinter uns gestanden. Unser Kussobjekt der Begierde war eine gute Freundin von uns beiden, die uns in ihrem betrunkenen Zustand versprochen hatte uns zu „Kussentjungfern“, weil wir beide es noch nie gemacht hatten und wir unbedingt wissen wollten, wie das wäre.
Jedenfalls war ich schon etwas angepisst, da ich mich grad erst so richtig dran gewöhnt hatte, aber es sollte ja nicht mein letzter Kuss bleiben, also überließ ich ihm das Feld. Deal war Deal, so ist das unter Freunden! Ich hopste von der Mauer runter und schlenderte davon. Ich ließ die Beiden alleine am Friedhof zurück, wo wir uns zurückgezogen hatten um unsere Ruhe zu haben und ging zurück in meinem Nonnenkostüm mit roter Perücke. Man hätte mich wohl auch mit einer Prostituierten verwechseln können in meiner Aufmachung. Es zog mich zurück zur nahe gelegenen Halloween Party, wo wir hergekommen waren um diesen feierlichen, ja weltbewegenden Moment hinter uns zu bringen. Ja das war sie, die Geschichte von meinem ersten Kuss: Als Nonne verkleidet an Halloween auf einem Friedhof zusammen mit meinem besten Freund, der in dem Moment in meinen Augen nicht nur wegen seiner Verkleidung ein echter Gremlin war.
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