Weltmetropole an der Donau, 3. August 2012
Es war eine dieser typischen schwülwarmen Nächte im sommerlichen Wien. An Abkühlung war selbst in den späten Abend- oder frühen Morgenstunden nicht zu denken. Das beklemmende Gefühl in einem Backofen gefangen zu sein, machte die Runde. Der Schweiß floss in großen Mengen und auch weit geöffnete Fenster brachten in solchen Nächten keine Abkühlung mehr. Sommerliche Glut flutete die Wohnungen. Es gab kein Entkommen.
Wenn man in solchen schlaflosen Nächten durch die Straßen und Gassen der schönen Donaumetropole schlenderte, konnte man Zeuge eines ganz speziellen Konzerts werden. Man musste nur kurz Inne halten und lauschen. So war es auch in jener Nacht. Eine Symphonie der menschlichen Nachtgeräusche oder besser gesagt eine Ode an schweißtriefende Dunkelstunden erhob sich aus der Ferne. Es begann ganz leise, fast unmerklich, mit einem gedämpften Schnarch-Geräusch, welches sich zwei Straßenecken weiter verorten ließ. Die Atemgeräusche, der schlecht entweichenden Luft aus Mund und Nasenöffnungen, pendelten sich im Takt der zirpenden Grillen ein.
Über den Bordstein entlang einer Einbahnstraße hallten Schritte einer jungen Frau. Sie war trotz ihrer Trunkenheit optimistisch gestimmt und unbekümmert ihren Nachhauseweg angetreten. Die Lautstärke der nächtlichen Tonkulisse stieg im Pendelschlag mit dem lauten Aufschlag ihrer Stöckelschuhe merklich und kontinuierlich an. Unter das wohlige, aber auch irgendwie nervige pfeifende Geräusche des Schnarchens, mischte sich der Ton einer nächtlichen Fernsehsendung. Es war die 100. Wiederholung eines Teleshoppingkanals. Der nächtliche Zuschauer schaltete um und genau in diesem einen Moment, wirklich nur für einen Taktschlag, ein kurzes Luftholen, bevor das Schnarchen wieder einsetzte, kehrte Ruhe ein.
Doch die trügerische Stille fand durch das tobende Schreien eines gegenüber wohnenden Nachbarn ein jähes Ende. Er beschwerte sich lautstark, mit einem Sammelsurium der schönsten wienerischen Schimpfwörter, die man sich nur vorstellen konnte. Sein Beschwerdeschwall galt dem, jedenfalls seiner Meinung nach, viel zu lauten Fernseher zu so später Stunde. Ein wortfester Streit entbrannte von einem Fenster zum nächsten. Die Worte hangelten sich in einem Noten-Schwallen, wie an einer Wäscheleine entlang, von der einen Seite zur nächsten und zurück. Die wutentbrannte Symphonie näherte sich ihrem feierlichen Höhepunkt, als sich zwischen den Schnarch-Geräuschen und den streitenden Nachbarn, die fordernden und leidenschaftlichen Geräusche eines sich liebenden Paares einzumischen drohten. Die Stöhn-Geräusche schafften es auch tatsächlich vorübergehend alles zu überschallen.
Dann aber übertönte ein krachender Knall die gesamte Geräuschkulisse. Dem Knall folgte ein zischendenes Fallgeräusch und ein lauter Aufschlag auf dem Beton. Die Stöckelschuhe bremsten abrupt, ein erschrockener Frauenschrei schrillte durch die Gasse. Der eine Nachbar war im Eifer des Streits komplett übers Ziel hinausgeschossen. Besser formuliert: Er hatte geschossen. Und zwar auf den Nachbarn mit den nächtlichen Fernseheskapaden. Es war ein richtiger Volltreffer. Wie eine tote Taube ist dieser aus dem Fenster vom 4. Stock des Mietshauses auf den Gehweg geprallt. Direkt vor die angetrunkene Frau auf ihrem Nachhauseweg. Polizeisirenen sollten den Abschluss bilden, bevor der Vorhang fiel. Es war der letzte Akt. Ein Leichenwagen transportierte den einen Nachbarn ab, während der andere, mit Handschellen versehen, mit Blaulicht in die Nacht entschwand.
Genau in so einer Nacht, die sich so oder so ähnlich hätte abspielen können, bin ich über oder besser in eine Geschichte gestolpert, die ich wohl noch meinen zukünftigen Enkelkindern erzählen kann. Jedenfalls sobald sie aus den Kinderschuhen hinausgewachsen wären. Ja, dann würde ich ihnen die Geschichte servieren. Auch gerne mal bei einem kühlen alkoholischen Getränk, getreu dem Motto: Jaja euer Opa ist auch noch immer eine coole Sau.
Meine Geschichte spielte sich in einem alten, leicht heruntergekommenen, aber doch beliebten Wiener Lokal, Nähe des Karlsplatzes ab. Es war später Sonntagabend und der Montagmorgen gedachte schon anzubrechen. Es war wieder ein brütend heißer Sommertag gewesen und die Nacht war drückend schwül. Die allbekannte nächtliche Geräusch-Symphonie tönte durch die Wiener Straßen. Ein englisch sprechender, recht gut aussehender, Mann befand sich im besagten Lokal. Er hatte eine gewisse Ähnlichkeit mit dem jungen David Duchovny, nur seine Haare waren dunkler. Sie waren pechschwarz. Er trug ein weißes Hemd und eine dunkelblaue Jeanshose. Den Abschluss seiner Erscheinung bildeten etwas schickere Abendschuhe. Er machte an sich einen recht kultivierten Eindruck auf mich.
Ich saß mit einem Freund und unseren zwei Abendbegleitungen ebenfalls in diesem Lokal. Wir waren sehr mit uns beschäftigt und hatten uns der Trinklust hingegeben. Es war ein lustiger und geselliger Abend. Der Mann war uns wohl auch deshalb bis zu diesem Zeitpunkt eigentlich nicht aufgefallen. Doch das sollte sich jetzt schlagartig ändern. Er hatte offensichtlich schon etwas zu viel getrunken und wankte in unsere Richtung. Wir saßen in einer Auslade am Fenster, die leicht erhöht vom Rest des Lokals war. Mit etwas Mühe schaffte er die Stufe zu uns hoch.
So stand er also vor uns und bat um eine Zigarette. Wir erfüllten ihm seinen Wunsch in der Hoffnung ihn damit zufriedenstellen zu können. Er nahm die Zigarette und steckte sie in seinen Mund. Er zündete sich die Zigarette an. Es war recht dunkel im Lokal, aber ein schummriges Licht durchbrach den Zigarettenrauch. So konnte ich sein recht markantes Gesicht, mitsamt seines Dreitagebarts, für einen Moment durch das Aufleuchten des Feueranzünders genauer betrachten. Doch was dann geschah, das hätte sich keiner in seinen kühnsten Träumen denken können.
Er hatte etwas Mühe aufrecht stehen zu bleiben, aber er tat sein Bestes um Haltung zu bewahren. Sein Kinn schwenkte ein paar Grad nach unten und seine lockigen schwarzen Haare wirbelten durch die Luft. Dann griff er mit einer ungelenken, aber doch noch einigermaßen koordinierten, Bewegung mit seiner linken Hand, die grad erst angezündete Zigarette. Er nahm sie aus seinem linken Mundwinkel, ließ seine Lippen aber weiterhin leicht geöffnet.
Ein Hauch von Erotik durchstreifte den Raum. Gleichzeitig passierte etwas, was nicht nur mich, sondern auch meine Trinkkumpanen, mehr als nur erstaunen ließ. Der besagte Mann senkte die Zigarette in einer schnellen geraden, ruckartigen Bewegung hinunter. Die Zigarette flog an den Knöpfen seines weißen Hemdes vorbei und blieb dabei fest von seinen recht dünnen, aber doch gepflegten, Fingern umklammert. Es war, als würde er dies öfters tun und wirkte wie einstudiert. Mehr noch, es wirkte wirklich gekonnt. Es hatte eine wage Ähnlichkeit mit einem abstürzenden Lift. Einem Lift, der nur den einen Weg nach unten kennen kann, da es diesem unmöglich war, seine festgefahrenen Bahnen zu verlassen, in denen er tagein tagaus seine Gäste zu ihren gewünschten Stockwerken beförderte. Oder eben auch nicht, falls er mal wirklich abstürzen sollte. Jedenfalls fiel die Hand, mehr oder weniger kontrolliert, schnurgerade tiefer und tiefer.
Es war, als würde die Zeit für einen Augenblick still stehen. Selbst die Schwüle dieser Sommernacht macht für einen Gongschlag Pause, als ein Luftzug sie durchbrach. Es sind diese Pausenmomente, die genau wie in einer wohl getakteten Symphonie, zur rechten Zeit eingebaut, den Fokus auf die Entfaltung einer unberechenbaren Magie legen sollten, ja sogar mussten. Doch der kurze Moment der Ruhe fand sein abruptes Ende.
Seine Hose krachte mit einem scheppernden Geräusch auf den Boden. Dies war offensichtlich seinem schweren Lederriemen geschuldet und verursachte eine weitere spürbare Luft-Verwirbelung. Oder war es nur der allgemeine Wunsch nach Abkühlung, der eine Art Fata Morgana auslöste? Jedenfalls schweifte mein Blick wieder hoch und streifte seine schicken Lederschuhe. Über diese gewölbt, lag seine heruntergelassene Hose und seine beharrten Beine kamen zum Vorschein. Ich bemerkte seine ausgeprägten Kniekehlen. Doch mein Blick wanderte weiter hoch.
Währenddessen ich mir nicht sicher war, ob ich weiterschauen oder doch liebe flüchten sollte, hatte der Mann mit seiner rechten Hand die Vorhaut seines, jetzt freibaumelnden, Penis zurückgeschoben. Fast gleichzeitig drückte er mit seiner linken Hand, die noch glühende Zigarette in die Öffnung seiner Eichel herein. Schließlich ließ er beides los und reckte seine Arme jubelnd in die Höhe. Er begann langsam aber stetig immer schneller werdende, kreisende Bewegungen mit seiner Hüfte zu vollführen. Der Penis, mitsamt der eingeführten Zigarette, wirbelte herum. Es erinnerte mich an ein sich schnell drehendes Fahrgeschäft auf dem Rummelplatz. Immer wieder durchbrachen einzelne Lichtstrahlen, die von einer alten Discokugel in den Raum strahlten, die verqualmte Dunkelheit. Der Bass aus der Musikanlage brummte im Takt zu diesem doch etwas skurrilen Anblick, welcher sich direkt vor meiner Nase bot.
Die absonderliche Szenerie hätte sich fast zu einem Bildnis von einer ekstatischen Schönheit entwickeln können. Doch dann kam es wie es kommen musste. Die Betrunkenheit übermannte sein Gehirn und die Schwerkraft setzte wieder mit voller Kraft ein. „The smoking penis“, wie wir ihn ab da nur noch nannten, geriet ins Taumeln. Er stolperte über seine heruntergelassene Hose aus der Auslage heraus und knallte mit seiner vollen männlichen Pracht ungebremst auf den Boden. So lag er schließlich vor der Bar.
Unser spezieller Freund hatte vergessen von seiner liebgewonnenen Jubelpose zu in einer doch eher nützlichen Auffangbewegung hinüberzugehen und war so mit voller Wucht auf sein bestes Teil gefallen. Aus uns brach schallendes Gelächter heraus. Wir konnten fast nicht glauben, welch ein Schauspiel sich uns da bot. Es war ein Sonntagabend in einer Wiener Bar. Die letzte Runde war schon lange vorbei und am Tresen raffte sich gerade ein Mann mit heruntergelassener Hose und einer rauchenden Zigarette in seinem besten Stück auf, um dann doch noch verzweifelt zu versuchen ein letztes Bier zu bestellen.
Draußen am Lokal raste ein Polizeiwagen mit schallendem Sirenengeräusch vorbei und die nächtliche Symphonie setzte wieder ein. Irgendwo stritten bestimmt auch wieder zwei Nachbarn.
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